Montag, 5. Mai 2014

TV-Serien-Leid in Deutschland (II): Abzuschauen

Den ersten Teil dieses Beitrags finden Sie HIER.


BEING HUMAN - links: UK, rechts.: USA
Das US-Fernsehen mit seiner Verwertungslandschaft – aber, seien wir ehrlich, auch mit seinen überpräsenten langweilig-enervierenden adretten California-Modelklonen beiderlei Geschlechts –  nein, das taugt nicht als Orientierungs- und Vergleichsfolie fürs deutsche Fernsehen, wo es beim TATORT vielleicht manchmal zu sozialpädagogisch zugeht, dafür aber auch Charakterköpfe und -gesichter ohne Jacketkronen wie Jürgen Vogels eine Chance haben und Lebendigkeit, mithin Lebenswirklichkeit bieten. Tatsächlich ist das Problem von ZDF und Co. eben nicht, dass sie zu wenig US-Fernsehen sind und im Portfolio haben, sondern dass sie es zu viel sein wollen. Und es ist ja nicht so, dass wir in (Mittel-) Europa alles (schlecht) nachäffen, was die Amis da drüben so toll können.

Man schaue sich die US-Remakes europäischer Filme und Serien an, zum Beispiel die BBC-Produktion BEING HUMAN. Eine WG, bestehend aus einem Werwolf, einem Vampir und einem Geist: das ist die Idee und glückte auf der Insel nicht zuletzt dank seiner Darsteller (freilich erst nach dem Piloten in der Besetzungskonstellation: Russell Tovey, Aidan Turner und Lenora Crichlow). Die Serie, erdacht von Toby Whithouse, bleibt originell, konkret, britisch, also verortet und nachvollziehbar gerade im Kleinen, Alltäglichen. Das US-Remake ist in der Cast ähnlich von den Typen und deren Physiognomie aufgestellt, atmet aber einerseits den Plastikfantastik-Odem des Stromlinienförmigen, wie das Imitationshafte, das bei aller Handwerksqualität immer einer Schulaufführung deshalb gleicht, weil das (authentischere) stets hindurchscheint.

Also nicht die USA als Vorbild, dann eben: europäische Nachbarn als Ideengeber und Pioniere für eine deutsche TV-Fiction- und -Serienerneuerung? Großbritannien bietet sich ja an, denn hier wie da liegt der Fokus eher auf Mehrteilern, auf Miniserien und Fernsehfilmen, statt auf längeren und langlaufenden Serien. Und das westdeutsche Rundfunksystem ist ja nach dem Zweiten Weltkrieg nicht an den zentralistischen Franzosen, den privatwirtschaftlichen Amerikanern, sondern: an dem des Vereinigten Königreichs mit seiner BBC ausgerichtet worden.       

Was hätten die Briten also heutzutage zu bieten? Tatsächlich mehr als man denkt und mehr als den wirklich brillianten SHERLOCK, dessen dritte Staffel den Zuschauerrekord auf der Insel knackte und hier zu Pfingsten in der ARD startet. Sowas wie INSPECTOR BARNABY (mit uneingedeutschem „C“!) zeigt das ZDF, vielleicht, hoffentlich auch mal THE FALL, eine fünfteilige Co-Produktion von BBC 2 und dem irischen Staatssender RTÉ One, oder dem ITV-Achtteiler BROADCHURCH

THE FALL
Die erstgenannte Serie erzählt von der Jagd auf einen Frauenmörder im modernen Belfast (jenem realen, in dem die "Troubles" en passant noch nachhallen), der von einer famosen emotionskalten Londoner Ermittlerin (grandios: AKTE-X-Scully Gillian Anderson) gejagt wird, vor allem aber: einem, in dem dieser Mörder (Jamie Dornan) gleichberechtigt auftritt, was den Zuschauer in ein seltenes Emotionswechselbad stürzt, weil man sich schnell ertappt fühlt, wie man sich um den distanzierten Familienvater hinsichtlich seiner Ergreifung sorgt, mitfiebert, dass ja seine Schandtaten nicht aufgedeckt werden, gar (man muss es sagen) dass sie glücken, auf dass seine Frau nicht herausbekommt, was für eine Monster dieser ruhige Eheberater in Wirklichkeit ist. Wobei man sich, auch so ein packender, fast perfider Kniff, stets fragt, wer hier unmenschlicher ist, die unterkühlte Polizistin oder der melancholisch-besessene Mörder. Selten jedenfalls ist uns das Böse so traurig, so intensiv nahe gerückt worden. 

BROADCHURCH
BROADCHUCH von Chris Chibnall wiederum handelt von dem Mord an einem elfjährigen Jungen, der das titelgebende Küstenstädtchen heimsucht und durcheinanderbringt. Wir haben die Ermittler, die viel zu nette, fast naive Polizistin und den – auch hier: - famos vor-den-Kopf-stoßenden, sarkastischen (schottischen!) Hauptermittler (David Tennant in einer gelungenen, wenn oder weil auch milderen Version von Peter Capaldis Malcolm Tucker in THE THICK OF IT), ebenso aber: die Familie (preiswürdig: Jodie Whittaker als Mutter), außerdem: Journalisten, die Kleinstadtgemeinde etc. BORADCHURCH seziert die Folgen eines solchen Todesfalls, übertreibt es zwar etwas mit den Einzelstorys und den Verwicklungen, auch mit der Zeitlupe in der letzten Episode, ist jedoch erzählerisch in seiner Frische, in seinen Ideen bei aller Reduktion auf den Fall, seine Figuren, den touristischen, aber nicht zu touristischen Background des Städtchens in Dorset überaus eindringlich. Gerade die ersten Folgen bestechen nicht zuletzt durch die Kameraästhetik, das Spiel mit der Tiefenschärfe und Bildkadrierung, die ungewöhnliche Akzente setzt und welche mehr sind als bloße und vor allem nicht: verbrauchte Künstelei. Und wie (zunächst: nicht!) der fehlende/tote Junge entdeckt/vermisst wird, wie der Vater in einer Plansequenz durch die Hauptstraße läuft, damit die Topografie (auch der der Figuren) erschließt, wie die Mutter im Stau steht, durch Radiodurchsage und Vorahnung aus dem Auto steigt und, immer schrecklich gewisser, ihrem toten Kind zuläuft – das gestaltet Standardsituation bisweilen so ungewohnt aus, wie das etwa dereinst TWIN PEAKS tat. 

Beide Serien, THE FALL und BROADCHURCH, gehen übrigens in mit jeweils einer zweiten Staffel in die Verlängerung. Wo haben wir Derartiges hierzulande?


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Schauen wir gen Norden, dort, wo auch, wenn nicht sogar noch mehr, Serien herstammen, die gerne als Referenz genannt werden und die von dem produzierenden „System“ her eher als Orientierungspunkte geeignet scheinen für die deutsche TV-Landschaft. 
  
FORBRYDELSEN, hierzulande unter KOMISSARIN LUND bekannt, habe ich mir mit Gewinn angesehen (alle drei „Seasons“), BRON / BROEN (DIE BRÜCKE) – gerade in der zweiten Staffel im „Zweiten“ laufend, außerdem ein bisschen BORGEN, gar REAL HUMANS. Taktgeber, Exportschlager – und bisweilen, man muss es sagen, filmstilistisch oder -ästhetisch nicht besser oder schlechter als das, was uns ARD und ZDF vorsetzen. Und in der Hinsicht war, man muss es ketzerisch mal sagen, war auch der Quality-TV-Überbeispiel THE WIRE visuell kein großer Wurf, sorry. 

Wenn man jetzt freilich in den Abspann dieser Schweden- und Dänen-Serien schaut (oder in sonstige Quellen) fällt auf, dass sehr oft als Ko-Finanzier das Zweite Deutsche Fernsehen auftaucht. DIE BRÜCKE etwa wurde international von ZDF Enterprise vertrieben. Eine Serie, die nicht nur in Zusammenarbeit von Großbritannien und Frankreich als THE TUNNEL neu aufgelegt (schließlich geht es gerade um Landesgrenzüberschreitungen, eine EU-Serie par exellence), sondern, auf FX, gar im Paradigmen-Land USA geremaked wurde (mit der deutschen Diane Krüger in einer der beiden Hauptrollen). Auch FORBRYDELSEN schaffte es in die Neue Welt, unter dem Titel THE KILLING und mit geänderter Storyline.

 FORBRYDELSEN / KOMMISSARIN LUND 
Schaut man sich diese Serien an, ich gebe es zu, dann lieber nicht in der deutschen synchronisierten Fassung, sondern im Original mit Untertiteln. FORBRYDELSEN-Hauptdarstellerin Sofie Gråbøl etwa ist mir, wenn von Katrin Fröhlich eingesprochen, ein Graus. Nicht, weil Frau Fröhlich (Schwester des „Die ???“-„Peter Shaw“ Andreas Fröhlich) in irgendeiner Weise schlechte Arbeit liefern würde, sondern einfach, weil das Monotone der Kommissarin Lund (zumal wenn ihr schon der Serientitel im Deutschen gewidmet ist) nicht nur Gråbøl auszeichnet, sondern die Figur überhaupt, ihre eminente stimmliche stumpf-banale Tristesse – eine, die eine ausgebildete / erfahrene Schauspielerin und Synchronsprecherin (u.a. für Gwyneth Paltrow) in ihrem klaren Duktus und der charakteristischen Klangfarbe, die ihr als Künstlerin zu eigen ist, (so: kunstvoll kunstlos) gar nicht treffen kann. Mehr noch wirkt so ein Übersetzungs-Minus qua Intonationsüberschwang bei der weiblichen Asperger-Syndrom-Hauptfigur in BRON / BROEN, gespielt von Sofie Helin mit adäquater Roboterstimme (die sozialuntauglichen Ermittler-Damen sind offenbar gerade in Mode). 

DIE BRÜCKE bzw. BRON / BROEN
FORBRYDELSEN und BRON / BROEN in der ersten Staffel (FORBRYDELSEN mit 20 Teilen!), aber auch BORGEN: sie sind nun nicht, zumindest nicht durchweg, das Gelbe vom Ei, vor allem, wenn es ums horizontale Erzählen geht. Sie wie auch BROADCHURCH kippen für ein, zwei Folgen ins Redundant-Episodische, BRON / BROEN etwa, wenn in der viert- und drittletzten Folge jemandem als dem (übertrieben kompetenten) Superverbrecher nachgerannt wird, der es dann doch nicht ist und auch ansonsten keine Relevanz für die Gesamterzählung hat. Anders gesagt: selbst diese Serien machen Fehlen, vor allem Fehler all jener Sorten, die man zur Genüge im deutschen Erzählen findet.

Es ist aber beredt und problemsymbolisch, wie sich das ZDF hier in puncto Adaption (im weiteren Sinne) verhält: Synchronisiert werden die Auslandsreißer um 22 Uhr ausstrahlen, an BREAKING BAD sich aber heillos „orientiert“ für ein Prime-Time-Event... (Und was, bei allem Quatsch, zeigt in Sachen glücklichen Adaptionsmöglichkeiten eine kleine privatproduzierte Saarland-BB-Parodie wie DIESE HIER auf YouTube auf? Warum nicht „Heinz-Becker“-Gerd Dudenhöffer als Walter White, mit Zahnersatzsorgen statt Krebsbehandlungsdefizit?) 

Und noch eine andere Version des Umgangs mit quasi-„fremden“ Inhalten, Stoffen und Werken lässt sich ausmachen, denn es wäre ja nicht so, dass das ZDF gar keine Quality-TV (wie die ARD mit SHERLOCK) böte: Die kanadische Thriller-Reihe mit Sci-Fi-Einschlag ORPHAN BLACK (mit der tollen Grammy-nominierten Mehrfachrollen-Hauptdarstellerin Tatiana Naslany) ist auch hierzulande zu sehen, im Öffentlich-Rechtlichen, allerdings eben auf ZDFneo seit dem 2. Mai 2014, wo übrigens auch MAD MEN lief oder demnächst die BBC-Serie RIPPER STREET). Soll heißen: Unsere Gebührengelder gehen nicht nur drauf für SOKO-Folgen, fürs GROSSSTADREVIER, für TATORT und, ja, dann doch: den TATORTREINIGER. In Sache Co-Produktion und Einkauf sind „wir“ gar nicht so schlecht aufgestellt. Aber warum eben BRON / BROEN nicht als ordentlich eigene heimische Variante? Warum importieren, mitbezahlen oder zumindest eingedeutscht ordentlich solche Serien nachmachen, adaptieren – statt BREAKING BAD im Taunus? Schweden und Dänemark – der Unterschied ist doch relativ marginal; was hätten wir mit den vielen Anrainerstaaten für eine zünftige Culture-Clash-Auswahl für eine eigene BRON / BROEN-Serie? DIE BRÜCKE – Deutschland/Österreich, mit jener trockenen Schwarzhumorigkeit, die nicht nur die Nachbarstaats-Erfolgserie BRAUNSCHLAG ausmacht, sondern dessen markante Besetzung in Teilen (Simon Schwarz, Maria Hofstätter, Robert Palfrader) uns Piefkes die Ehre in DAMPFNUDELBLUES erwiesen? 

Oder DIE BRÜCKE zwischen Deutschland und Polen? Als Thriller, der eine Normalität nicht jenseits, aber über Kriegsgeschichte und EU-Wirtschaftsgefälle lässig und selbstgenügsam hinwegerzählend mehr völkerverständigen könnte als alle Gedenk- und Sozialproblemstücke, die förderfinanziert und befindlichkeitsgesättigt keinen mehr aufzuklären oder zum Denken anzuregen vermögen (von unterhalten ganz zu schweigen)? DIE BRÜCKE Deutschland / Frankreich, DIE BRÜCKE Deutschland / Italien... Ach, lieber nicht; nicht, dass am Ende alles zusammen nur als ein internationales Vorabend-Derivat der SOKOs von Wismar bis Kitzbühel herauskäme ... 

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Bei allem Hohn und bei aller Ätze, deutsches Fernsehen braucht nicht konkurrieren mit Serienerzeugnissen für einen internationalen Markt, und dass aus dem Ex-Lehrer Drogenkoch aus Albuquerque ein Falschmünzer im Taunus wird, sagt vielleicht mehr und Beruhigenderes über die hiesigen Sozialverhältnisse aus, als wir uns wünschen können. Aber eben über das eigene Land und die Leute erzählen, das ist die Aufgabe des Fernsehen – das nicht nur eine Institution ist, sondern auch ein Technik- und Kulturmedium, eines, das von jeher nationaler aufgestellt war als ein grenzüberschreitendes Kino. Tolle Spielfilme, auch US-Serien mag ich, wie sie sind, aber zu einer britischen, vor allem aber einer US-Version von HOUSE OF CARDS wünsche ich mir zusätzlich eine deutsche Variante, die mir eben sarkastisch nicht etwas über die Verhältnisse in Washington, D.C. erzählt, sondern jene in Berlin, etwas über Lobbyismus, Manipulieren und Taktieren auf hiesigem Politparkett und in den Hinterzimmern der Macht. Dass wir dafür nicht die richtigen Autoren und Filmemacher haben, das ist Unfug. Es kann ja auch biederer sein (genauer: die Biederkeit selbst aufgreifen und verarbeiten). Auch BROADCHURCH, an der Nordsee, warum nicht? Themen wie die Kollateralschäden einer sensations- wie melodramengeilen Presse, die greifen nicht nur hier, sonder müssen als solche auch länderspezifisch reflektiert werden. Was an all diesen hervorragenden TV-Serien, ob aus den USA, aus UK, dem kleinen Dänemark oder dem größeren Schweden so besticht, ist eben die Universalität, die ich mir angepasst auf hiesige Verhältnisse, Sorgen und Mentalitäten, zugleich mit aller Konsequenz in der Ausgestaltung auch in Richtung Bissigkeit, mir ein Anrecht qua Beitragszahlung ausbedinge. Und, nein, es muss nicht als Event um 20.15 Uhr laufen, wenn dieser Sendeplatz FSK-12-frei zu sein hat und solch eine Abendzeit für die Familie vorgesehen ist. Wenn es gut ist, finden wir dich, Fernsehen, und tatsächlich ist das ein Gedanke, den ich sehr sympathisch finde: die versteckten Juwelen, wenn sie nicht für den Tagesschauanschluss taugen. Was bräuchte es die bizarre Serienmörderserie HANNIBAL zur Primetime? Selbst wenn es das kollektive „Lagerfeuer“ nicht mehr gibt, heißt das nicht, dass man seine Werte und Möglichkeiten gleich komplett aufgibt. 

Sicher, man muss nicht alles können – und allein schon meine Wünsche zeigen, dass es hier nicht einzelne Pole geht, sondern um (letztlich auch individuelle) Gradwanderungen und Nuancen. Exportgroßmeister in Sachen Maschinenbau oder was sonst noch, das ist ja auch schon was. Man muss nicht alles sein oder können oder wollen. Aber (und da gibt es ja weiß der Himmel schlimmere Formen von Nationalstolz) eben doch mal sonntagabends statt INSPECTOR BARNABY oder DIE BRÜCKE eine originelle eigensinnige, individuelle deutsche Serie (mit sechs bis acht Episoden), eine, an der sich das schwedische Fernsehen finanziell beteiligt statt umgekehrt, eine, deren Format sich Showtime, FX, ABC oder sonst wer in den USA zum Remaken einkaufen, eine, die man sich hier oder anderswo (deutsch, mit englischen, dänischen oder schwedischen Untertiteln!) als DVD-Box oder im Stream am liebsten komplett und am Stück besorgen und anschauen möchte, auf dass die anderen mal sagen: Warum haben wir so etwas nicht?! – das, ja, das wäre mal (wieder) was.

Trau dich, liebes Fernsehen, gerne auch ein gutes Abschauen! 

zyw   

1 Kommentar:

  1. Man koennte ja in Deutschland auch einfach mal selber was kreatives erfinden. Ich weiss nicht ob es die Loesung ist, wenn man bei den genialen Originalen von der Insel oder aus Skandinavien einfach abkupfert.

    Es muss einfach auch mal der Wille da sein, mal nicht die xte Aerzteserie zu machen, sondern mal Qualitaet zu produzieren..

    http://retrobennemann.blogspot.de/

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